2 | 2012 Forschen in Jülich 19 lerhafte Variante, die dazu neigt, sich mit anderen zu verbinden. Ist dieser ver- hängnisvolle Vorgang einmal angesto- ßen, heften sich an das zunächst winzige Aggregat immer mehr Proteinmoleküle. So bilden sich lange Fäden – die gefürch- teten Amyloid-Fibrillen. Wenn sie nicht durch „Aufräumkommandos“ der Zelle abgebaut werden, reichern sie sich an und die Zellen gehen daran zugrunde. An ihrer Stelle finden sich im Hirn die ver- klumpten Fibrillen, die bei Alzheimer, Parkinson und Creutzfeld-Jakob im Mi kroskop als Amyloid-Plaques zu erken- nen sind. Philipp Neudecker vom Institute of Complex Systems (ICS) analysierte das Zwischenstadium bei der Proteinfaltung, das am Scheideweg steht zwischen dem funktionierenden Protein und den ge- fährlichen Fibrillen. „Dieses Stadium ist notwendig, damit sich das Protein in we- niger als einer Sekunde richtig falten kann“, erklärt er. „Doch ist das eine Gratwanderung, weil dieses Stadium eben auch die Bildung von Fibrillen aus- lösen kann.“ Es existiert nur für extrem kurze Zeit, nämlich für wenige tausends- tel Sekunden. Den „Wackelkandidaten“ in diesem winzigen Augenblick genau zu beobachten und den Faltungsprozess im Detail zu analysieren, gelang seinem Team mit Hilfe der Kernspinresonanz- Spektroskopie. Dieses Verfahren, auch kurz NMR (für englisch „Nuclear Magne- tic Resonance“) genannt, zeigt in atoma- rer Auflösung die exakte räumliche Struktur des kurzlebigen und instabilen Zwischenstadiums. Mehr Fehler im Alter In seinen Experimenten, die er im We- sentlichen an der Universität Toronto durchführte, stellte Neudecker fest: Ent- scheidend ist die Anordnung der letzten vier Aminosäuren in dem aus 59 Baustei- nen bestehenden Molekül. Normalerwei- se bildet dieses Ende einen Strang, der sich annähernd parallel neben die ersten Bausteine des Moleküls legt. Diese An- ordnung verhindert, dass sich weitere Proteine anheften. Bei dem Zwischen- stadium ist aber gerade dieser schützen- de letzte Abschnitt des Moleküls noch nicht gefaltet. Der offen daliegende An- fang des Proteins ist für weitere Protein- moleküle zugänglich und es können sich spontan Fibrillen bilden. Woran es im Einzelfall liegt, dass die Gratwanderung zum Absturz führt, ist nicht immer klar. „Die Bildung der ersten Aggregate – die sogenannten Nukleation – ist ein recht seltenes Ereignis“, berichtet Neudecker. „Es kann natürlich nur ein- treten, wenn sich mehrere solcher Mole- küle treffen, und ist daher extrem ab hängig von der Konzentration der zur Aggregation neigenden Proteinvariante.“ Mit zunehmendem Lebensalter aber steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich fehlgefaltete Proteine ansammeln. Auch nimmt man an, dass die Reparaturme- chanismen, die die Protein-Moleküle doch noch richtig in Form bringen oder aber zügig abbauen, im Alter weniger ef- fektiv arbeiten. „Auch Umwelteinflüsse, wie natürliche oder künstliche Chemika- lien, stehen als Mittäter im Verdacht, das Entstehen von Amyloid-Fibrillen zu begünstigen, ebenso wie genetische De- fekte“, erläutert Neudecker. Hoffnung auf Therapie „Wir betreiben zwar Grundlagenfor- schung“, betont der Forscher, der im Frühjahr letzten Jahres von Toronto nach Jülich wechselte. Doch erwarte er von den Ergebnissen großen Nutzen, bei- spielsweise für die Diagnose und Thera- pie der Alzheimer-Erkrankung. „Es gibt eine fast schon erschreckende Unkennt- nis der grundlegenden Mechanismen im entscheidenden Anfangsstadium der Er- krankung – ein großes Hindernis bei der Entwicklung von Medikamenten.“ Von rund 200 potenziellen Wirkstoffen gegen FORSCHUNG IM ZENTRUM | Proteine Alzheimer, die bisher klinische Tests durchliefen, habe es noch kein einziger zum Medikament geschafft, wurde kürz- lich auf einer Alzheimer-Fachtagung in Paris berichtet. „Wenn wir die Mechanis- men analysieren, die am Beginn solcher Erkrankungen stehen, können wir dazu beitragen, dass sich diese Bilanz verbes- sert“, hofft Philipp Neudecker. :: Quelle P. Neudecker, P. Robustelli, A. Cavalli, P. Walsh, P. Lundström, A. Zarrine-Afsar, S. Sharpe, M. Vendruscolo & L. E. Kay: Structure of an Interme- diate State in Protein Folding and Aggregation, Science, Bd. 336, S. 362, 2012. Hier im Vergleich dazu das korrekt gefal- tete Molekül. Bei der Faltung eines Proteinmoleküls tritt dieses Zwischenstadium auf, das unter ungünstigen Umständen zur Ver- klumpung neigt.